"Wie schneide ich einen Baum?"
Baumpflege und Naturschutz - wie funktioniert und was kostet das?
Viele Streuobstbestände befinden sich derzeit in einem schlechten Pflegezustand. Darunter leidet auch die Lebensraumqualität für die Arten der Vogelschutzrichtlinie, da alte ungepflegte Bäume vorzeitig zusammenbrechen. Die Vögel verlieren auf diese Weise wichtige Elemente ihres Lebensraumes wie zum Beispiel Baumhöhlen.
Im Rahmen des LIFE+-Projektes sollten daher vorzugsweise vergreiste und vernachlässigte Obstbaumbestände unter Belassen von starkem Totholz wieder Instand gesetzt werden. Bei der Sanierung von großen zusammenhängenden Streuobstbeständen wurden die Lebensraumansprüche der Zielarten der Vogelschutzrichtlinie berücksichtigt. Diese naturschutzorientierte Baumpflege wurde zu Beginn des Projektes zunächst auf kommunalen Streuobstflächen umgesetzt, da in diesen Fällen die Ansprechpartner bekannt waren und es sich in der Regel um größere zusammenhängende Flächen handelte. Bei diesen Arbeiten konnten groß- flächig Erfahrungen in der naturschutzorientierten Baumpflege gewonnen werden: zum Beispiel in Bezug auf die Vorgaben für die Umsetzung (Ausschreibungsunterlagen), die Eingriffsstärke, den Umgang mit Totholzanteilen, den Geräteeinsatz, die Kosten und vieles mehr. Die Arbeit in alten Beständen setzt ein hohes Maß an Fachwissen voraus und wurde daher auf den kommunalen Flächen ausschließlich von LOGL-Geprüften Obstbaumpflegern durchgeführt.
Grundsätze der naturschutzorientierten Baumpflege
Die Ausgangslage Die naturschutzorientierte Pflege von Obstbäumen steckte zu Beginn des Projekts noch in den Kinderschuhen. Im Zollernalbkreis und im Landkreis Tübingen waren erste Ansätze seit 2004 methodisch erprobt und umgesetzt worden. Darüber hinaus war über ein PLENUM-Projekt im Landkreis Reutlingen zusammen mit dem Landesverband für Obstbau, Garten und Landschaft Baden-Württemberg e. V. (LOGL) das Zertifizierungssystem des LOGL-Geprüften Obstbaumpflegers (siehe S. 8) entwickelt worden (ZEHNDER & WAGNER 2008). Diese Zusatzqualifikation baut auf vorhandene Ausbildungen auf und setzt fachliche Schwerpunkte bei der Pflege alter Obstbäume und bei den naturschutzfachlichen Erfordernissen. Parallel dazu wurde am Kompetenz zentrum Obstbau-Bodensee (KOB) ein Grundlagenwerk zur Pflege von alten Obstbäumen erarbeitet (BOSCH 2010).
Ziele und Vorgaben im LIFE+-Projekt Ziel der Schnittmaßnahmen bei der naturschutzorientierten Baumpflege ist die Verbesserung der Vitalität und der Lebensdauer der Obstbäume. Dabei sollen wichtige Habitatstrukturen wie starkes Totholz und Höhlen erhalten werden. Ebenfalls sind gute Belichtungsverhältnisse in der Baumkrone anzustreben. Die Schnittmaßnahmen orientieren sich an den allgemein anerkannten Grundsätzen der Obstbaumpflege (Erhaltungs- bzw. Erneuerungsschnitt an Obstbäumen). Diese Grundsätze werden dann um weitere Aspekte ergänzt. Ein großes Augenmerk ist dabei auf die Verbesserung von Stabilität und Vitalität zu legen. Demgegenüber können Schnittmaßnahmen aus Gründen der Nutzbarkeit (z. B. Kronenaufbau aus Gründen der leichteren Ernte) teilweise in den Hintergrund treten. Folgende Vorgaben und Zielsetzungen für eine naturschutzorien tierte Baumpflege wurden daraus abgeleitet:
- Der Schnitt muss das Ziel haben, eine maßvolle Bildung von Jungtrieben zu fördern.
- Die Vitalität und die Lebensdauer der Bäume sollen verbessert werden.
- Das Kronenbild und ein nutzbarer Kronenaufbau sollen erhalten bzw. wieder hergestellt werden.
- Etwa armdickes Totholz soll am Baum belassen werden, solange die Statik dies zulässt.
- Äste mit Höhlen sollen geschont werden.
- Abgestorbenen Bäumen kann zur statischen Sicherung der reich verzweigte Feinastbereich komplett entnommen werden. Ein positiver Effekt dabei ist auch, dass die Nutzung und Pflege des Grünlandes dadurch erleichtert wird.
Der Wartungsvertrag
Ursprünglich war vorgesehen, im zweiten Jahr nach der Erstpflege einen zweiten Schnittdurchgang auf den LIFE+-Maßnahmenflächen durchzuführen. Da die Bäume jedoch sehr verhalten auf den ersten Schnitt reagierten, erschien dies in den meisten Fällen nicht notwendig zu sein. Sinnvoller war es, die Folgepflege möglichst flexibel an die Reaktion des Baumes auf die Erstpflege anpassen zu können und innerhalb von fünf Jahren jeden Baum noch einmal zu bearbeiten. Der zweite Pflege durchgang sollte also über einen größeren Zeitraum verteilt erfolgen. Um hier eine praxisgerechte Lösung anbieten zu können und die bislang gut etablierten Strukturen der LOGL-Geprüften Obstbaumpfleger als Partner der Kommunen zu stärken, wurden so genannte „Wartungsverträge“ zwischen den Obstbaumpflegern und den Gemeinden abgeschlossen. Diese hatten folgenden Inhalt:
- Pflege der Bestände auf den LIFE+-Maßnahmenflächen über einen Zeitraum von fünf Jahren auf Basis eines Festpreisangebots des Obstbaumpflegers
- Der Maßnahmenumfang wurde gemeinsam mit der Gemeinde auf der Basis des Baumbestands in Form eines Stundenkontingents festgelegt.
- Die Entsorgung des Schnittguts ist dabei Aufgabe der Gemeinde.
- Die Abrechnung erfolgt auf Basis eines Stundenprotokolls.
- Eine Förderung im Rahmen von LIFE+ erfolgte bis zum Ende der Projektlaufzeit wie bei der Erstpflege der Bestände. Nach Ende der Projektlaufzeit trägt allein die Gemeinde die Kosten, die in der verbleibenden Laufzeit von insgesamt fünf Jahren anfallen.
Auf kommunalen Flächen wurden im Rahmen des LIFE+-Projektes rund 8.300 Obstbäume gepflegt. Die Erstpflegemaßnahmen fanden auf einer Fläche von rund 188 Hektar statt. An der Finanzierung der Maßnahme haben sich bis zum Abschluss des Projekts 36 Städte und Gemeinden beteiligt:

Gemeinden
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Aichelberg
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Bad Boll
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Bad Ditzenbach
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Bad Überkingen
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Beuren
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Bissingen a. d. Teck
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Deggingen
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Dettingen a. d. Erms
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Dettingen u. Teck
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Dürnau
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Eningen u. Achalm
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Eschenbach
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Frickenhausen
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Göppingen
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Hattenhof
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Heiningen
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Holzmaden
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Kirchheim-Jesingen
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Kirchheim-Nabern
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Kirchheim-Ötlingen
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Kohlberg
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Kuchen |
Lenningen
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Neidlingen |
Notzingen
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Nürtingen |
Owen |
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Pfullingen |
Plüderhausen |
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Remshalden |
Rudersberg |
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Schlat |
Schlierbach |
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Schorndorf |
Süßen |
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Urbach |
Weilheim / Teck |
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Zell |

Ein typischer Baum vor der Durchführung von Revitalisierungsmaßnahmen: 50% der Krone ist
abgestorben. Die Statik ist gestört und etliche Höhlungen sind vorzufinden. Daraus wird kein
Musterbaum mehr, aber ein Lebensraum für Vögel und Insekten kann erhalten werden.
Maßnahmen sind notwendig um ein vitaleres Triebwachstum anzuregen und die Statik wieder
herzustellen, da die linke Seite wird mit der Zeit sonst zu schwer wird.
Fachwart bei der Ausbildung zum LOGL-geprüften Obstbaumpfleger. Ohne den Hochentaster
geht in vernachlässigten Altbeständen nicht viel.
Aus obstbaulicher Sicht nichts mehr wert, aber aus Sicht des Naturschutzes wertvoll.
Die Kappung starker Äste war angesichts des hohlen Stammes und der vormals weiten
Ausladung notwendig um ein Auseinanderbrechen zu verhindern.
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